Einfachheit und Offenheit
Tag 4: Freitag, 20.3.2020
Ein wenig unruhig war die Nacht heute, mitten in der mittelalterlichen Altstadt von Betanzos: Die Geräusche anderer Pilger zu hören, die eigene Müdigkeit zu spüren und kalt war mir auch. Mit einer weiteren Schicht Kleidung und diversen Entspannungsübungen habe ich dann doch geschlafen. Ist ja nur für eine Nacht, ist mein Spruch in dieser Situation. Wir wollten es ja auch mal einfach.
Im benachbarten Café nehmen wir unser Frühstück ein, denn heute gibt es nicht viele Möglichkeiten unterwegs. Und fürs Picknick noch ein Bocadillo, ein belegtes Brot zum Mitnehmen. Auch die Strecke ist mit fast 25 km besonders lang. Also früh los und kontinuierlich laufen. Gerade ist es bedeckt und nieselig. Mal schauen, ob es später besser wird.
Hinter dem Ort steigen wir über kleine Straßen aufwärts bis wir die Autobahn überquert haben. Danach in ruhiger Natur ab und auf bis zur Kapelle San Esteban de Cos, wo wir wieder auf eine Landstraße stoßen. Kurz nach dem Ort folgen wir der neuen Wegführung an der Straße entlang und haben Glück, denn in der kleinen Bar gibt es einen Kaffee für uns. Neugierig werden wir beäugt von den einzelnen Dorfbewohnern, die die Bar gerade für einen morgendlichen Ratsch besuchen. Fragen nach woher und wohin. Kurze Gespräche, die motivieren. Der Himmel ist jetzt trocken und ohne Poncho läuft es sich bequemer. So gehen wir einfach durch Presedo durch, halten auch nicht am Restaurant mit Museum, sondern folgen den Muschelzeichen bis Leiro. Die kleine Kirche dort ist kunsthistorisch sicher nicht sehr interessant, aber in ihrer Einfachheit verleitet sie mich zu einer Zeichnung. Verwitterte Steine, ein Glockenturm mit zwei Glocken, gemauerte Gruften in langen Reihen, eine alles umschließende Mauer mit Tor. Ein friedlicher Platz, um ein wenig zu verweilen und Picknick zu machen.
Mit den ersten Regentropfen brechen wir auf, Rucksackhülle, Regenponcho, fertig. Von hier aus geht es die nächsten Kilometer beständig bergauf über kleine Straßen und geschotterte Waldwege. In Beche am kleinen See können wir unsere Wasserflaschen auffüllen. Ein alter Mann zeigt uns den versteckten Wasserhahn. Inzwischen regnet es richtig und wir laufen schweigend dahin. Irgendwann unterqueren wir die Autobahn, weiter bergauf. Manchmal ein kurzes Innehalten, um die Markierung zu finden.
Die Strecke zieht sich heute, endlich sind wir oben. Weiter bis zur Kreuzung, wo der Weg von A Coruña her einmündet. Hier finden wir eine offene Bar, gut besucht von Einheimischen und Pilgern. Kurze Begrüßung, wir haben uns gestern schon in der Herberge getroffen. Die nassen Sachen werden aufgehängt. Jetzt ist es Zeit für ein spätes Mittagessen und die Bar hat auch prompt ein Tagesgericht (Plato del Dia) im Angebot: Hühnchen, Pommes, Salat, Nachspeise und dazu Wein oder Wasser. Genau das Richtige. Trocken und gestärkt nehmen wir die letzten 2,5 km in Angriff. Für heute Nacht haben wir uns eine Pension gegönnt in Mesón do Vento, wo wir freundlich empfangen werden.
Oh wie schön kann so ein einfaches Doppelzimmer sein! Die nassen Sachen ausziehen, heiß duschen und alles zum Trocknen aufhängen. Ein gemütlicher Abend.
Hier in Bayern war es heute nochmal frühlingshaft sonnig, Radfahren ist eine Freude. Das regnerische und kühlere Wetter wird wohl noch einen Tag brauchen, bis es hier ankommt. Dafür erreichen uns die Nachrichten aus Spanien mit schnellen Schritten. Es ist erschreckend, wie rasch die Corona-Pandemie um sich greift. Ausgangsbeschränkungen auch hier.